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Der schwache Glaube

Editorial
von Matthias Hembrock


Der schwache Glaube

Die Diagnose von Experten ist klar: Der christliche Glaube schwächelt. Es genügt ein Blick
auf die Homepage des Religionsmonitors der Bertelsmannstiftung und man liest: „Religion
spielte während Corona bei der Krisenbewältigung kaum eine Rolle“ oder: „Jedes vierte
Kirchenmitglied in Deutschland denkt über Austritt nach“. Den Befund des Münsteraner
Soziologen Detlef Pollack, der vor acht Jahren ein Standardwerk zur Rolle der Religion in
der Moderne geschrieben hat, kommentierte ein Freund so: Den Kirchen ist ihre
Geschäftsgrundlage abhandengekommen.
Als wir Ende der achtziger Jahre im Priesterseminar auf die Pastoral vorbereitet wurden,
schärfte man uns bezüglich der Taufe von Kindern ein, dass dabei die Eltern eine Hauptrolle
spielen. Schließlich werden die Kinder auf ihren Glauben hin getauft. Also sollten wir beim
Taufgespräch prüfen, ob die Eltern tatsächlich glauben. Wenn ich das nach dem Buchstaben
des Glaubensbekenntnisses gemacht hätte, hätte ich wohl weniger Kinder getauft. Natürlich
glauben alle Eltern, aber was im Symbolum so kunstvoll formuliert ist, bringt heute fast
niemand als persönlichen Glauben zur Sprache.
Und dennoch: die „Suche nach dem letzten Sinn seines Lebens“ finde ich auch heute
manchmal, wenn ich mit Menschen ins Gespräch komme. Laut Katechismus der Katholischen
Kirche ist das gleichsam die Bedingung der Möglichkeit des Glaubens. Dieser wird als
„Antwort des Menschen an Gott“ definiert, „der sich dem Menschen offenbart und schenkt“
und „Licht in Fülle bringt“.
Beim Lesen dieser Zeilen des Katechismus wird mir ganz nostalgisch zumute. Das klingt so
schön, wie eine Reminiszenz an Kinderzeiten. Aber war der Glaube früher wirklich so einfach
wie es im Rückblick scheint? Ich weiß noch genau, wie erschüttert ich war, als ich verstanden
habe, dass die Erde im großen Universum kleiner als ein Staubkorn ist und ich darauf nur ein
belangloses Nichts. Beim Gang zum Schulbus blieb ich an einem dunklen Wintermorgen
stehen, schaute die Sterne an und es schauderte mich. Ist es möglich, dass Gott mich sieht?
Zum Glück konnte ich mich entscheiden: Ja, ich glaube an Gott. Aber selbstverständlich war
das nicht. Vielmehr war es ein gedanklicher Sprung ins Dunkel hinein.
"Dunkel“ ist wohl der Begriff, der eher als „Licht in Fülle“ beschreibt, was heute Sache ist,
wenn wir über Glauben nachdenken. Vom schwachen Glauben handelt deshalb dieses Heft
und die Autorinnen und Autoren bearbeiten das Thema wie immer in sehr vielfältiger Weise.
Damit hoffen wir, den Leserinnen und Lesern in Zeiten der Kirchenkrise hilfreich zu sein,
weil wir ein Stockwerk tiefer gehen und nicht auf die Zahlen schauen, sondern auf die
Grundlage.
Die Grundlage der Kirche kann nichts und niemand anderes sein als Jesus Christus. Chiara
Lubich war vor allem vom dunkelsten Moment seines Lebens fasziniert, von seiner
Verlassenheit am Kreuz. Da sieht sie den Bogen der Liebe Gottes bis zum äußersten Punkt
gespannt. Diese mystische Sicht auf den „Urheber und Vollender des Glaubens“ (Hebr 12, 2)
erscheint mir heute aktueller denn je. Mit der Auferweckung Christi hat Gott gezeigt, dass er
den schwachen Glauben nicht verachtet. Vielmehr wird er davon angezogen und schenkt
genau darin seine Kraft (vgl. 2 Kor 13, 4).
Wir sollten nicht über den schwachen Glauben unserer Tage und unseres eigenen Herzens
klagen, sondern Ja dazu sagen. Dann kann daraus ein Lichtbogen entstehen, der anders als
früher, aber nicht weniger hell, das Licht Christi zur Welt bringt. Wenn die Kirchen demütig
und bescheiden, aber zugleich einladend und öffentlich den Glauben bezeugen, können sie
bisher Unerfahrenes erleben und die Sinnsuche der heutigen Menschen authentisch begleit

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