Gemeinsam unterwegs sein
Liebe Leserinnen und Leser!
Vielleicht haben Sie sich beim ersten Hinsehen auf den Titel dieses Heftes unserer Zeitschrift das prisma spontan gedacht: Ja eh – klar – natürlich sind wir alle dafür, dass wir gemeinsam unterwegs sind oder sein wollen bzw. zumindest sein sollen! Wer will es schon nicht?! Wir wollen gemeinsam unterwegs sein in vielen Bereichen wie etwa in Freundschaften und Partnerschaften, in Gemeinschaften und Vereinen und selbstverständlich in der Kirche! Alle drei Worte des Titels klingen schon für sich allein positiv und erst recht in der vorliegenden Kombination. Vielleicht klingen sie jedoch für manche heutige Ohren sogar zu schön, so dass sie gleich einer etwas abgedroschenen Schnulze aalglatt abgleiten an der Aufmerksamkeit oder gar nicht mehr wirklich aufhorchen lassen, was an potentieller Kraft in ihnen steckt.
In diesem Heft geht es um nichts Glattes, Abgedroschenes, Schnulziges, um nichts Leichtgewichtiges oder gar Redundantes, auf das man auch verzichten könnte wie auf das Sahnehäubchen einer Torte. Es geht um Wesentliches, ja es geht um das Wesen selbst, das freilich mit menschlichen Begriffen nie ganz zu fassen sein wird und dennoch der Worte bedarf, um es zugänglich zu machen. Wenn wir die drei Worte des Titels in einem Begriff ausdrücken wollen, so passt wohl am ehesten der vom Griechischen hergeleitete Ausdruck (er wird in den folgenden Beiträgen in seiner Herleitung erklärt) "Synodalität".
Die Synodalität hat ihre tiefste theologische Grundlage im Dreifaltig-Einen Gott selbst, der DAS σύν (SYN = MIT) in sich und über sich hinaus ist, dessen ὁδός (HODOS = WEG) in unendlicher, ewiger, perichoretischer Dynamik alle und alles erreicht und einschließt und der den Menschen dazu beruft, seinen trinitarischen Weg mitzugehen und zu leben, um auf diese Weise an der Dreifaltigkeit zu partizipieren. Die Kirche ist ihrem Wesen nach – gemäß ihrer Selbstdefinition im Zweiten Vatikanischen Konzil (LG 1) und in verschiedenen kirchlichen Dokumenten seither – trinitarisch synodal. In vielfältiger und beständiger Weise betont Papst Franziskus in seinen Lehräußerungen die Synodalität als essenziell für die Kirche und wird nicht müde, zu einer konsequenten Umsetzung der Synodalität in der Kirche anzuspornen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Internationale Theologische Kommission unter seinem Pontifikat im Jahr 2018 das bemerkenswerte Dokument "Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche" publiziert hat, und dass der Papst für den Herbst 2022 eine eigene Bischofssynode zu dieser Thematik einberufen hat, die mit dem Titel „Für eine synodale Kirche – Gemeinschaft, Partizipation und Mission“ angekündigt wurde.
Im ehrlichen Hinschauen auf verschiedene Versuche, synodale Vorgänge im Leben der Kirche auf den verschiedenen Ebenen zu implementieren, müssen wir dennoch bisweilen bei maßgeblichen Personen(-kreisen) große Vorbehalte und Ängste konstatieren bis hin zur Ablehnung und Desavouierung synodaler Prozesse als kirchengefährdend. Und so kann es geschehen, dass plötzlich ein wichtiger und positiver Begriff von einigen derart negativ konnotiert wird, dass er in seinem eigentlichen Sinngehalt aus dem Blick gerät und folglich – was noch schlimmer ist, weil es den kirchlichen Lebensnerv trifft – das für die Kirche lebenswichtige und erneuernde Prinzip der Synodalität abgelehnt wird. Dies kann man lautstark beklagen oder aber versuchen, im eigenen Lebens- und Tätigkeitsbereich zu zeigen, dass und wie Synodalität gelingen kann, nämlich dergestalt, dass für die Beteiligten tatsächlich erfahrbar wird, dass in einer richtig verstandenen und gelebten synodalen Dynamik der auferstandene und lebendige Jesus Christus tatsächlich als der Herr und Meister inmitten der Seinen real präsent und wirksam ist; dass der Auferstandene inmitten der Getauften allen sein Licht gibt und er selbst es ist, der die Kirche leitet, erneuert, belebt.
Die vorliegende Nummer will in der aktuell gerade im deutschen Sprachraum virulenten Diskussion rund um die Thematik anhand verschiedener Beiträge den Blick dafür schärfen, worum es bei der Synodalität im Wesen geht, ihr aus der Perspektive unterschiedlicher theologischer (aber nicht nur) Disziplinen auf den Grund zu gehen und Beispiele aufzeigen, wie in verschiedenen Bereichen synodale Vorgänge im Leben durchzubuchstabieren versucht werden. In der Beleuchtung der Thematik kommt nicht zuletzt von Chiara Lubich ein starkes Licht, da das ihr von Gott geschenkte Charisma der Einheit eine zutiefst trinitarische Prägung aufweist, die sich sowohl in ihrem Schrifttum als auch im Leben des von ihr gegründeten Werkes Mariens (der Fokolar-Bewegung) zeigen lässt. Dies betrifft auch die Strukturen der Leitung, die Dynamiken der Entscheidungsfindung und – gemäß dem Charisma der Einheit – letztlich alle Aspekte des Lebens. Mit "Jesus in der Mitte" – so der Terminus, den Chiara häufig für diese trinitarische Dynamik verwendet – leben wir als Kirche im Kleinen wie im Großen synodal gemäß dem Dreifaltig-Einen und in IHM auch untereinander. Eine solcherart gelebte Synodalität braucht niemand zu fürchten. Sie vermag vielmehr auch heute die Menschen neu für Gott und seine Kirche begeistern.
Das Inhaltsverzeichnis und ein näherer Blick auf die Kurzvorstellungen der Artikel reichen – so meine ich – wohl aus, um neugierig zu werden für die Lektüre dieser Nummer von das prisma. Sie gleicht einem bunten Blumenstrauß, der in seiner Vielfalt doch ein gemeinsames schönes Bild ergibt von dem, was Synodalität bedeuten kann. Schließlich möchte sie nicht nur zum vertiefenden Nachdenken anregen, sondern darüber hinaus Lust machen zum Gemeinsam unterwegs sein!
Stefan Ulz