Nicht nur im Anfang war das Wort
Editorial
von Matthias Hembrock
Liebe Leserin, lieber Leser!
In Zeiten der Krise ist es nötig, sich zu vergewissern, was gilt und was trägt. Das ist umso nötiger, wenn mehrere Krisen aufeinanderfolgen und sich sogar überlagern und gegenseitig verstärken. Auch die Katholische Kirche ist in einer Krise, so die Diagnose von Papst Franziskus. „Die eigenen Kategorien und Denkweisen werden erschüttert, Deine Prioritäten und dein Lebensstil werden herausgefordert. … Die Frage ist, ob Du diese Krise überstehst und wenn ja, wie. Die Grundregel einer jeden Krise ist, dass du nicht genau so herauskommst, wie du hineingegangen bist. Wenn du sie überstehst, dann gehst du besser oder schlechter aus ihr hervor, aber bleibst nicht derselbe.“
Der Papst hat im Jahr 2021 ein ambitioniertes Projekt auf den Weg gebracht, um die Katholische Kirche durch die Krise zu führen und sie hör- und gesprächsfähiger zu machen: den synodalen Prozess. Peter Klasvogt legt eindrucksvoll dar, wie Papst Franziskus damit an das Zweite Vatikanische Konzil anknüpft, das von Papst Paul VI., der vor 61 Jahren gewählt wurde, zu Ende gebracht wurde. Er wollte nicht weniger als einen grundstürzenden Erneuerungsprozess in Gang bringen. Dazu wurde die Synode etabliert, die aber erst jetzt so gestaltet wird, wie es der Traum von Paul VI. gewesen war. Peter Klasvogts Artikel geht übrigens auf seine Festansprache zurück, die er im Oktober 2023 in Bocholt anlässlich des Diamantenen Priesterjubiläums (60 Jahre) von Dr. Wilfried Hagemann gehalten hat, dem langjährigen Verantwortlichen der prisma-Herausgeberkonferenz.
Ende April konnte ich selbst in Rom erleben, welche Dynamik der synodale Prozess inzwischen hat. Das Synodensekretariat unter Leitung von Kardinal Mario Grech hatte 200 Pfarrer aus 90 Ländern eingeladen, um sie zum Thema Synodalität anzuhören. Auch Dr. Stefan Ulz aus Graz war dabei, Mitglied der prisma-Herausgeberkonferenz. Es war sehr bewegend, dass die leitenden Bischöfe und Theologen mehr zugehört als gesprochen haben. Sie wollten wirklich von den Pfarrern, die aus ganz unterschiedlichen Situationen kamen, erfahren, was sie erleben, was sie denken und wie sie sich die Kirche erhoffen. Zwar ging es auch um konkrete Themen, wie z. B. die Stellung der Frau in der Kirche, aber vorrangig war das Ziel, einen Kulturwandel in der Kirche zu erreichen. Synodalität bedeutet eine gemeinschaftliche Art, Kirche zu sein, wo alle ihr jeweiliges Charisma einbringen können und wo sich die Kirche mit anderen Akteuren verbindet, um in offenem Dialog und in wirksamem Dienst an der Welt zu sein. In den 20 Gruppen wurde nach der Methode „Gespräch im Heiligen Geist“ gearbeitet, die das Hören sehr stark betont. Wenn einer sprach, hörten alle zu – das klingt normal, ist es aber leider nicht. Wie oft wartet man nur ab, bis jemand zu Ende gesprochen hat, um dann die eigene Meinung zu sagen?! So wird das Gespräch zum Kampf der Meinungen und es gibt Sieger und besiegte. Anders in einer Atmosphäre des Hörens: Da wirkt das gesprochene Wort und entfaltet seine Kraft, sodass ein gemeinsames Ergebnis entstehen kann, das mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. Es war wohl diese Gesprächsdynamik, die in uns teilnehmenden Pfarrern sehr schnell ein starkes Gemeinschaftsgefühl erzeugte, das durch die enormen Unterschiede nicht getrübt wurde. Der Heilige Geist wirkte und schenkte große Freude!
Nicht nur im Anfang war das Wort – mit diesem Titel lenkt das Heft, welches Sie in den Händen halten, die Aufmerksamkeit darauf, welche Bedeutung die Sprache hat. Franz Sedlmeier beschreibt, wie in der Bibel den Propheten in besonderer Weise das Wort anvertraut ist. Umso energischer werden falsche Propheten verurteilt. Wolfgang Beck analysiert die spätmoderne Gottesrede, die ihren Ort in der Kommunikationsgesellschaft finden muss. Diese macht es durch die gewaltigen medialen Möglichkeiten der Social Media durchaus riskant, sich zu äußern, ohne Missverständnisse zu produzieren. Die französische Soziologin und Psychoanalytikerin Anne Dufourmantelle hat das existenzielle Risiko des Sprechens betrachtet und darin eine Parallele zum religiösen Glauben gefunden, der das „Risiko des Sprungs“ beinhaltet, weil er sich auf Nichtgreifbares einlässt.
Auch zum Gottesdienst gehört Sprache dazu. Die Liturgietheologin Nicole Stockhoff plädiert für eine umsichtige Verheutigung liturgischer Sprachformen, wobei es nicht nur darum geht, die liturgische Fremdsprache durch standardsprachliche Begriffe zu ersetzen, sondern es sollte auch eine spirituelle Sinnerschließung erzielt werden.
Daran schließt sich sehr gut der Artikel von Gianluca De Candia an, der das wichtigste Wort überhaupt bespricht: Gott. Es versteht sich heute keineswegs von selbst! Auch der Terminus „Wort“ aus dem Johannesprolog, der diesem Heft den Titel gab, lässt sich nicht als sprachliche Einheit verstehen. Vielmehr geht es um den Logos im Sinne des unausgesprochenen göttlichen Grundes.
Ein Ausflug in die Literatur darf in einem Heft über das Thema Sprache nicht fehlen. Georg Langenhorst bietet da reichlich Stoff: Elias Canetti, Franz Kafka, Rose Ausländer, Günter Kunert, Johannes R. Becher, Christa Wolf, Georg Bydlinski, Ingeborg Bachmann und Andreas Knapp haben zahlreiche literarische Versionen der biblischen Legende vom Turmbau zu Babel entwickelt, welcher bekanntlich in heilloser Sprachverwirrung endete – was an Pfingsten geheilt wurde.
Etwas praxisorientierter sind die beiden letzten Artikel. In einer Predigt ging es mir um angemessene Wortwahl im Umgang der Gemeinde mit solchen Personen, die aus der Kirche ausgetreten sind – in einem Werkstattbericht nimmt uns die Logopädin Anja Primbs mit in den faszinierenden Prozess des Worterwerbs von Kindern.
Dieses prisma-Heft beinhaltet auch einige sehr akademisch geprägte Beiträge. In den nächsten Heften werden wir wieder mehr konkrete Erfahrungsberichte und spirituelle Schwerpunkte anbieten. So versuchen wir Ihnen mit all unseren Heftbeiträgen eine ausgewogene Mischung von Theologie, Pastoral und Spiritualität anzubieten.
Durchgängig fällt in allen Artikeln auf, dass das Hören genauso betont wird wie das Sprechen. Die Stille und die Leere ermöglichen erst das Wort und die Mitteilung. Mich erinnert das an Chiara Lubich, die über das „erfüllte Schweigen“ von Maria schrieb: „Sie schwieg, weil nicht beide gleichzeitig sprechen konnten. Wie ein Gemälde die Leinwand, so braucht jedes Wort als Untergrund das Schweigen. Maria schwieg, weil sie Geschöpf war. Das Nichts spricht nicht. Auf diesem Nichts aber sprach Jesus, und er sagte – sich selbst. Gott, der Schöpfer und Herr, sprach auf dem Nichts des Geschöpfs.“