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Aus dem Nachsynodalen Schreiben von Papst Franziskus

Aufregende Auszüge aus "Amoris laetitia" von Dr. Wilfried Hagemann

17. Januar 2022

1. Papst Franziskus eröffnet das Jahr Amoris laetitia - 19.03.2021

Pressemeldung KAP vom 19.03.2021
Franziskus: "Neuer Blick" der katholischen Kirche auf Familie notwendig -  Aktion endet beim Weltfamilientreffen mit Papst im Juni 2022 in Rom

Der Papst hat am Freitag das "Amoris-laetitia-Familienjahr" offiziell eröffnet. Mit einer Videobotschaft hob Franziskus die Bedeutung seines vor fünf Jahren veröffentlichten Schreibens zu Ehe und Familie hervor. Er lade alle Gläubigen ein, das Dokument nochmals zu lesen und darüber nachzudenken.
"Amoris laetitia" vermittle, dass angesichts tiefgreifender Veränderungen "ein neuer Blick" der katholischen Kirche auf die Familie notwendig sei. Es genüge nicht, die Bedeutung der althergebrachten Lehre zu bekräftigen. Zugleich brauche es Mitgefühl, wenn man sich um Zerbrechlichkeit und Wunden kümmern wolle. Die "Diktatur der Gefühle, die Verherrlichung des Provisorischen" mache familiäre Bindungen heutzutage instabil, so der Papst. Aufgabe der Kirche sei es, menschliche Beziehungen von der "Sklaverei" zu befreien, durch die sie oft entstellt würden.
Dazu müsse man "in das wirkliche Leben eintauchen", um die Nöte von Eheleuten und Eltern zu verstehen, betonte der 84-Jährige. "Wir sind berufen, den Weg der Familien zu begleiten, zuzuhören, zu segnen." Eine Lehre von oben herab ohne das "Fleisch" des alltäglichen Lebens laufe hingegen Gefahr, eine schöne Theorie zu bleiben.

Das "Amoris-laetitia-Jahr" wird federführend vom vatikanischen Familiendikasterium organisiert. Vorgesehen ist eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Projekten. Sie sollen neue Impulse zur Umsetzung des Apostolischen Schreibens geben. Die Aktion endet beim Weltfamilientreffen mit dem Papst im Juni 2022 in Rom.

2. AUSZUG AUS DEM NACHSYNODALEN APOSTOLISCHEN SCHREIBEN „AMORIS LAETITIA“ VON PAPST FRANZISKUS (19. März 2016)

Der Text kann im Internet abgerufen werden unter www.vatican.va/content/vatican/de.html, dort sind auf der Startseite unter „Franziskus“ die Texte unter verschiedenen Kategorien erreichbar, außer in deutscher Sprache auch auf Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch und Englisch.

Das Schreiben selbst gliedert sich in Kapitel und Überschriften, aber jeder Abschnitt hat eine eigene arabische Ziffer. Daraus lese ich jetzt einfach der Reihe nach einzelne Sätze vor, sie sind wiederzufinden unter der Ziffer, die ich dann angebe.
 

Die Familie im Licht des Wortes Gottes

1. Die Freude der Liebe, die in den Familien gelebt wird, ist auch die Freude der Kirche.

8. Die Bibel ist bevölkert mit Familien, mit Generationen, sie ist voller Geschichten der Liebe wie auch der Familienkrisen, und das von der ersten Seite an, wo die Familie von Adam und Eva auftritt mit ihrer Last der Gewalt, aber auch mit der Kraft des Lebens, das weitergeht, bis zur letzten Seite, wo die Hochzeit der Braut und des Lammes erscheint. Die beiden Häuser, die Jesus beschreibt und die auf Fels oder auf Sand gebaut sind (vgl. Mt 7,24–27), sind ein symbolischer Ausdruck vieler familiärer Situationen, die durch die persönliche Freiheit ihrer Mitglieder geschaffen werden, denn – wie der Dichter schrieb – „jedes Haus ist ein Leuchter“ (Jorge Luis Borges). Treten wir nun in eines dieser Häuser ein, geführt vom Psalmisten durch einen Gesang, der noch heute sowohl in der jüdischen als auch in der christlichen Liturgie der Trauung erklingt (Ps 128,1-6).

9. Überschreiten wir also die Schwelle dieses heiter-gelassenen Heimes mit seiner Familie, die in festlicher Tafelrunde vereint ist. Im Mittelpunkt begegnen wir dem Paar von Vater und Mutter mit seiner ganzen Geschichte der Liebe. In ihnen verwirklicht sich jenes ursprüngliche Vorhaben, das Christus selbst mit Nachdruck ins Gedächtnis ruft: „Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer die Menschen am Anfang als Mann und Frau geschaffen hat?“ (Mt 19,4). Und es wird die Anweisung aus dem Buch Genesis aufgegriffen: „Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch“.

11. Das liebende Paar, das Leben zeugt, ist das wahre, lebende „Bildnis“ (nicht jenes aus Stein und Gold, das der Dekalog verbietet), das imstande ist, den Gott, der Schöpfer und Erlöser ist, darzustellen. Daher wird die fruchtbare Liebe das Symbol der inneren Wirklichkeiten Gottes.

15. In diesem Licht können wir noch eine weitere Dimension der Familie aufnehmen. Wir wissen, dass im Neuen Testament von der Gemeinde die Rede ist, die sich im Haus versammelt. Der Lebensraum der Familie konnte sich in eine Hauskirche verwandeln, in einen Ort der Eucharistie, der Gegenwart Christi am selben Tisch.

18. Das Evangelium erinnert uns auch daran, dass die Kinder kein Eigentum der Familie sind, sondern dass sie ihren eigenen Lebensweg vor sich haben.

19. Es ist die Gegenwart des Schmerzes, des Bösen und der Gewalt, die das Leben der Familie und ihre innige Lebens- und Liebesgemeinschaft auseinanderbrechen lassen. (…) Das Wort Gottes ist ständiger Zeuge dieser dunklen Dimension, die sich schon in den Anfängen auftut, als sich mit der Sünde die Beziehung der Liebe und der Reinheit zwischen Mann und Frau in eine Herrschaft verwandelt.

21. Jesus selbst wird in einer einfachen Familie geboren, die alsbald in ein fremdes Land fliehen muss. Er tritt in das Haus des Petrus ein, wo dessen Schwiegermutter krank ist, lässt sich in das Drama des Todes im Haus des Jaïrus oder in der Familie des Lazarus einbeziehen, hört den verzweifelten Aufschrei der Witwe von Naïn angesichts ihres verstorbenen Sohnes und beachtet die Klage des Vaters des Epileptikers in einem kleinen ländlichen Dorf.

Die erotische Dimension der Liebe

150. Gott selbst hat die Geschlechtlichkeit erschaffen, die ein wunderbares Geschenk für seine Geschöpfe ist. Wenn man sie kultiviert und ihre Zügellosigkeit vermeidet, dann um zu vermeiden, dass es zu einer „Verarmung eines echten Wertes“ kommt.

151 Die Sexualität ist nicht ein Mittel zur Befriedigung oder Vergnügung, denn es ist eine zwischenmenschliche Sprache, bei der der andere ernst genommen wird in seinem heiligen und unantastbaren Wert. Auf diese Weise „wird das menschliche Herz sozusagen zum Teilhaber einer anderen Spontaneität“. In diesem Zusammenhang erscheint die Erotik als spezifisch menschliche Äußerung der Geschlechtlichkeit. In ihr kann man „die bräutliche Bedeutung des Leibes und die wahre Würde des Sich- Schenkens“ finden.

152. Wir dürfen also die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, die zum Wohl der Familie toleriert werden muss, sondern müssen sie als Geschenk Gottes betrachten, das die Begegnung der Eheleute verschönert. Da sie eine Leidenschaft ist, die durch die Liebe, welche die Würde des anderen bewundert, überhöht ist, gelangt sie dahin, eine „lautere schiere Bejahung“ zu sein, die uns das Wunderbare zeigt, zu dem das menschliche Herz fähig ist, und „für einen Augenblick ist das Dasein wohlgeraten“ (Zitat von Josef Pieper, Über die Liebe, München 2014, S. 174).

154. Es ist nicht überflüssig daran zu erinnern, dass die Sexualität sich auch innerhalb der Ehe in eine Quelle des Leidens und der Manipulation verwandeln kann. Deshalb müssen wir in aller Klarheit sagen, dass „ein dem Partner aufgenötigter Verkehr, der weder auf sein Befinden noch auf seine berechtigten Wünsche Rücksicht nimmt, kein wahrer Akt der Liebe ist, dass solche Handlungsweise vielmehr dem widerspricht, was mit Recht die sittliche Ordnung für das Verhältnis der beiden Eheleute zueinander verlangt“. Die besonderen Akte der geschlechtlichen Vereinigung der Eheleute entsprechen dem gottgewollten Wesen der Sexualität, wenn sie „auf wirklich humane Weise“ vollzogen werden.

Ehe und Jungfräulichkeit

158. „Viele Menschen, die ehelos leben, widmen sich nicht nur ihrer Ursprungsfamilie, sondern leisten in ihrem Freundeskreis, in der kirchlichen Gemeinschaft und im Berufsleben große Dienste.

159. Die Jungfräulichkeit ist eine Form des Liebens. Als Zeichen erinnert sie uns an die vorrangige Bedeutsamkeit des Gottesreiches, an die Dringlichkeit, sich vorbehaltlos dem Dienst der Verkündigung zu widmen. Zugleich ist sie ein Abglanz der Fülle des Himmels, wo „die Menschen nicht mehr heiraten werden“.

162. Der Zölibat läuft Gefahr, eine bequeme Einsamkeit zu sein, welche die Freiheit gewährt, sich selbstbestimmt zu bewegen, Orte, Aufgaben und Entscheidungen zu ändern, über das eigene Geld zu verfügen, je nach der Attraktion des Momentes Kontakte mit verschiedenen Menschen zu pflegen. Hier glänzt das Zeugnis der Verheirateten. Wer zur Jungfräulichkeit berufen ist, kann in manchen Ehen ein deutliches Zeichen der großherzigen und unerschütterlichen Treue Gottes zu seinem Bund finden, das ihre Herzen zu einer konkreteren und hingebungsvolleren Verfügbarkeit anspornt.

Die Liebe, die fruchtbar wird

165. Die Liebe schenkt immer Leben. Darum „erschöpft sich die eheliche Liebe nicht in der Gemeinschaft der beiden. Während sich die Eheleute einander schenken, schenken sie über sich selbst hinaus die Wirklichkeit des Kindes: lebender Widerschein ihrer Liebe, bleibendes Zeichen ihrer ehelichen Gemeinschaft, lebendige und unauflösliche Einheit ihres Vater- und Mutterseins“.

183. Die Familie darf sich selbst nicht als ein wohlumzäuntes Gehege verstehen, das berufen ist, sich vor der Gesellschaft zu schützen. Sie verharrt nicht in Wartestellung, sondern verlässt in solidarischer Suche das eigene Nest. So wird sie zu einem Bindeglied, das den Einzelnen in die Gesellschaft einfügt, und zu einem Verbindungspunkt, in dem Öffentliches und Privates eins werden. Die Eheleute müssen ein klares und überzeugtes Bewusstsein ihrer sozialen Pflichten erlangen. Wenn das geschieht, nimmt die Zuneigung, die sie vereint, nicht ab, sondern sie wird mit einem neuen Licht erfüllt.

186. Die Eucharistie verlangt die Eingliederung in einen einzigen kirchlichen Leib. Wer sich dem Leib und dem Blut Christi nähert, kann nicht zugleich diesen selben Leib beleidigen, indem er unter seinen Gliedern empörende Trennungen und Diskriminierungen vollzieht. (…) Der biblische Text 1 Kor 11,20-22 ist eine ernste Warnung für die Familien, die sich in die eigene Bequemlichkeit zurückziehen und sich abschotten, ganz besonders aber für die Familien, die angesichts des Leidens der armen und am meisten bedürftigen Familien gleichgültig bleiben.

Einige Hilfsmittel

223. Die Synodenväter haben darauf hingewiesen, dass „die ersten Jahre der Ehe ein wesentlicher und heikler Zeitabschnitt [sind], währenddessen die Paare im Bewusstsein der Herausforderung und der Bedeutung der Ehe wachsen. Hieraus ergibt sich das Erfordernis einer pastoralen Begleitung, die nach der Feier des Sakramentes fortgesetzt wird. Bei dieser Pastoral ist die Anwesenheit erfahrener Ehepaare von großer Bedeutung. Die Pfarrei wird als der Ort verstanden, an dem erfahrene Paare jüngeren zur Verfügung stehen können, möglicherweise unter Mithilfe von Vereinigungen, kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften. … Dabei gilt es, die Bedeutung der Spiritualität der Familie, des Gebetes und der Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistie zu unterstreichen. Die Paare sollen ermutigt werden, sich regelmäßig zu treffen, um das Wachstum des geistlichen Lebens sowie die Solidarität in den konkreten Herausforderungen des Lebens zu fördern.

226. Die jungen Ehepaare muss man auch anregen, eine eigene Alltagsroutine zu schaffen, die ein gesundes Gefühl von Stabilität und Halt vermittelt und die man mit einer Reihe von täglichen gemeinsamen Ritualen aufbaut. Es ist gut, den Morgen immer mit einem Kuss zu beginnen und jeden Abend einander zu segnen, auf den anderen zu warten und ihn zu empfangen, wenn er ankommt, manchmal zusammen auszugehen und die häuslichen Aufgaben gemeinsam zu erledigen. Zugleich ist es aber auch gut, die Routine durch das Fest zu unterbrechen, nicht die Fähigkeit zu verlieren, in der Familie zu feiern, sich zu freuen und die schönen Erfahrungen festlich zu begehen.

227. Man soll die Familien auch dazu anregen, wöchentliche Freiräume für das Gebet in der Familie zu schaffen, denn „die Familie, die vereint betet, bleibt vereint“. (…) Das Wort Gottes ist Quelle des Lebens und der Spiritualität der Familie. Die betrachtende Lesung der Heiligen Schrift in Gemeinschaft mit der Kirche muss die Familienpastoral innerlich formen und die Mitglieder der Hauskirche bilden.“

228. Es ist möglich, dass einer der beiden Ehegatten nicht getauft ist oder die Verbindlichkeiten des Glaubens nicht leben möchte. In diesem Fall bewirkt der Wunsch des anderen, als Christ zu leben und zu wachsen, dass die Gleichgültigkeit jenes Partners schmerzlich erlebt wird. Trotzdem ist es möglich, einige gemeinsame Werte zu finden, die miteinander geteilt und mit Begeisterung gepflegt werden können. Den ungläubigen Ehegatten zu lieben, ihn glücklich zu machen, seine Leiden zu lindern und das Leben mit ihm zu teilen ist in jedem Fall ein Weg der Heiligung. Andererseits ist die Liebe ein Geschenk Gottes, und dort, wo sie sich ergießt, lässt sie ihre verwandelnde Kraft spüren, manchmal auf geheimnisvolle Weise und bis zu dem Punkt, dass „der ungläubige Mann durch die Frau geheiligt ist und die ungläubige Frau durch ihren gläubigen Mann“. (vgl. 1 Kor 7,14)

229. Die Pfarreien, die Bewegungen, die Schulen und andere Einrichtungen der Kirche können Hilfestellung leisten, um die Familien zu betreuen und neu zu beleben. Zum Beispiel durch Mittel wie Versammlungen von benachbarten oder befreundeten Ehepaaren, kurze Einkehrtage für Ehepaare, Vorträge von Spezialisten über ganz konkrete Problemkreise des Familienlebens, Eheberatungs-Zentren; durch Beratungsstellen für verschiedene familiäre Situationen (Sucht, Untreue, Gewalt in der Familie), durch Räume für Spiritualität, durch Workshops zur Ausbildung von Eltern mit schwierigen Kindern und durch Familienversammlungen.

235. Es gibt allgemeine Krisen, die gewöhnlich in allen Ehen vorkommen, wie die Anfangskrise, wenn man lernen muss, die Unterschiede in Einklang zu bringen und sich von den Eltern zu lösen; oder die Krise der Ankunft des Kindes mit ihren neuen emotionalen Herausforderungen; die Krise der Erziehung, welche die Gewohnheiten des Ehepaares ändert; die Krise der Pubertät des Kindes, die viele Energien erfordert, die Eltern aus dem Gleichgewicht bringt und sie manchmal entzweit; die Krise des „leeren Nestes“, die das Ehepaar dazu zwingt, sich wieder selbst in den Blick zu nehmen; die Krise, die ihren Ursprung in der Betagtheit der Eltern der Ehepartner hat, die mehr Anwesenheit, mehr Betreuung und schwierige Entscheidungen fordern. Das sind anspruchsvolle Situationen, die Ängste, Schuldgefühle, Depressionen oder Erschöpfungszustände auslösen, welche die Bindung der Eheleute schwer in Mitleidenschaft ziehen können.

Begleiten nach Brüchen und Scheidungen

241. Man muss zugeben, dass es Fälle gibt, in denen die Trennung unvermeidlich ist. Manchmal kann sie sogar moralisch notwendig werden, wenn es darum geht, den schwächeren Ehepartner oder die kleinen Kinder vor schlimmeren Verletzungen zu bewahren, die von Überheblichkeit und Gewalt, von Demütigung und Ausbeutung, von Nichtachtung und Gleichgültigkeit verursacht werden.

242. Die Synodenväter wiesen darauf hin, dass ein besonderes Urteilsvermögen unerlässlich ist, um die Getrenntlebenden, die Geschiedenen und die Verlassenen pastoral zu begleiten. Vor allem muss das Leid derer angenommen und geachtet werden, die ungerechterweise Trennung oder Scheidung erlitten haben, die verlassen wurden oder wegen Misshandlungen durch den Ehepartner gezwungen waren, das Zusammenleben aufzugeben. Die Vergebung des erlittenen Unrechts ist nicht einfach, sie ist aber ein Weg, den die Gnade möglich macht. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Pastoral der Versöhnung und der Mediation.

243. Was die Geschiedenen in neuer Verbindung betrifft, ist es wichtig, sie spüren zu lassen, dass sie Teil der Kirche sind, dass sie keineswegs exkommuniziert sind und nicht so behandelt werden, weil sie immer Teil der kirchlichen Communio sind.

246. Darum dürfen die christlichen Gemeinden, die geschiedenen Eltern in neuer Verbindung, nicht alleine lassen. Im Gegenteil, sie müssen sie aufnehmen und in ihrer Erziehungsaufgabe begleiten. Denn wie können wir im Übrigen diesen Eltern raten, alles zu tun, um die Kinder zum christlichen Leben zu erziehen und ihnen Vorbild eines  überzeugten und praktizierten Glaubens zu sein, wenn wir sie vom Leben der Gemeinde fernhalten, so als wären sie exkommuniziert? Den Eltern zu helfen, ihre Wunden zu heilen und ihnen spirituellen Halt zu geben, kommt auch den Kinder zugute. Sie brauchen das familiäre Gesicht der Kirche, die ihnen in dieser traumatischen Erfahrung Halt gibt.

 

 

Einige komplexe Situationen

247. Die Probleme bezüglich der konfessionsverschiedenen Ehen erfordern besondere Aufmerksamkeit. Die Ehen zwischen Katholiken und anderen Getauften, weisen jedoch, wenn auch in ihrer besonderen Eigenart, zahlreiche Elemente auf, die es zu schätzen und zu entfalten gilt, sei es wegen ihres inneren Wertes, sei es wegen des Beitrags, den sie in die ökumenische Bewegung einbringen können. Daher soll ein herzliches Zusammenwirken zwischen den katholischen und nichtkatholischen Geistlichen angestrebt werden, und zwar schon bei der Vorbereitung auf die Ehe und die Trauung. Obgleich den Eheleuten einer bekenntnisverschiedenen Ehe die Sakramente der Taufe und der Ehe gemeinsam sind, kann die gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie nur im Ausnahmefall erfolgen.

248. Religionsverschiedene Ehen stellen einen bevorzugten Ort für den interreligiösen Dialog dar. Sie bringen einige besondere Schwierigkeiten mit sich, sowohl im Hinblick auf die christliche Identität der Familie als auch auf die religiöse Erziehung der Kinder.

250. Die Kirche passt ihre Haltung Jesus dem Herrn an, der sich in grenzenloser Liebe für jeden Menschen, ohne Ausnahme, geopfert hat. Mit den Synodenvätern habe ich die Situation von Familien bedacht, welche die Erfahrung machen, dass in ihrer Mitte Menschen mit homosexueller Orientierung leben – eine Erfahrung, die nicht leicht ist, sowohl für die Eltern als auch für die Kinder. Darum möchten wir vor allem bekräftigen, dass jeder Mensch, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung, in seiner Würde geachtet und mit Respekt aufgenommen werden soll und sorgsam zu vermeiden ist, ihn in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen oder ihm gar mit Aggression oder Gewalt zu begegnen. In Bezug auf die Familien kommt es hingegen darauf an, eine respektvolle Begleitung zu gewährleisten, damit diejenigen, welche die homosexuelle Tendenz zeigen, die notwendigen Hilfen bekommen können, um den Willen Gottes in ihrem Leben zu begreifen und ganz zu erfüllen.


 

Ja zur Sexualerziehung

280. Das II. Vatikanische Konzil sprach von der Notwendigkeit, die Kinder und Jugendlichen durch eine positive und kluge Geschlechtserziehung zu unterweisen, die den jeweiligen Altersstufen angepasst ist und die Fortschritte der psychologischen, der pädagogischen und der didaktischen Pädagogik verwertet. Wir müssen uns fragen, ob unsere Erziehungseinrichtungen diese Herausforderungen angenommen haben. Es ist schwierig, in einer Zeit, in der die Geschlechtlichkeit dazu neigt, banalisiert zu werden und zu verarmen, eine Sexualerziehung zu planen. Sie könnte nur i Rahmen einer Erziehung zur Liebe, zum gegenseitigen Sich-Schenken verstanden werden.

285. Die Sexualerziehung muss auch die Achtung und die Wertschätzung der Verschiedenheit einbeziehen, die jedem die Möglichkeit zeigt, die Einschließung in die eigenen Grenzen zu überwinden, um sich der Annahme des Anderen zu öffnen. Man muss helfen, den eigenen Körper so zu akzeptieren wie er geschaffen wurde. Die Wertschätzung des eigenen Körpers in seiner Weiblichkeit oder seiner Männlichkeit ist notwendig, um in der Begegnung mit dem anderen Geschlecht sich selbst zu erkennen. Nur wenn man die Angst vor der Verschiedenheit verliert, kann man sich schließlich aus der Immanenz des eigenen Seins und aus der Selbstverliebtheit befreien. Die Sexualerziehung muss dazu verhelfen, den eigenen Körper so zu akzeptieren, dass man nicht darauf abzielt, den Unterschied zwischen den Geschlechtern auszulöschen, weil man sich nicht mehr damit auseinanderzusetzen versteht.

286. Ebenso wenig darf man übersehen, dass in der Ausgestaltung der eigenen männlichen oder weiblichen Seiensweise nicht nur biologische oder genetische Faktoren zusammenfließen, sondern vielfältige Elemente, die mit dem Temperament, der Familiengeschichte, der Kultur, den durchlebten Erfahrungen, der empfangenen Bildung, den Einflüssen von Freunden, Angehörigen und verehrten Personen sowie mit anderen konkreten Umständen zu tun haben, welche die Mühe der Anpassung erfordern. Das Männliche und das Weibliche sind nicht etwas starr Umgrenztes. Darum ist es zum Beispiel möglich, dass die männliche Seinsweise des Ehemannes sich flexibel an die Arbeitssituation seiner Frau anpassen kann. Häusliche Aufgaben oder einige Aspekte der Kindererziehung zu übernehmen, machen ihn nicht weniger männlich, noch bedeuten sie ein Scheitern, ein zweideutiges Benehmen oder eine Schande.

Die Zerbrechlichkeit begleiten, unterscheiden und eingliedern

292. Die christliche Ehe, ein Abglanz der Vereinigung Christi und seiner Kirche, wird voll verwirklicht in der Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau, die sich in ausschließlicher Liebe und freier Treue einander schenken, einander gehören bis zum Tod, sich öffnen für die Weitergabe des Lebens und geheiligt sind durch das Sakrament. Dieses Sakrament schenkt ihnen die Gnade, um eine Hauskirche zu bilden und ein Ferment neuen Lebens für die Gesellschaft zu sein.

Die Gradualität in der Seelsorge

293. Die Synodenväter haben ebenfalls die besondere Situation einer reinen Zivilehe oder – bei aller gebührenden Unterscheidung – eines bloßen Zusammenlebens ins Auge gefasst. Und auch das bloße Zusammenleben bekommt einen Wert: Wenn eine Verbindung durch ein öffentliches Band offenkundig Stabilität erlangt, wenn sie geprägt ist von dieser Zuneigung, Verantwortung gegenüber den Kindern, von der Fähigkeit, Prüfungen zu bestehen, kann dies als Anlass gesehen werden, sie auf ihrem Weg zum Ehesakrament zu begleiten. Andererseits ist es besorgniserregend, dass viele junge Menschen heute die Ehe beargwöhnen und zusammenleben, indem sie die Eheschließung auf unbestimmte Zeit verschieben, während andere die eingegangene Verpflichtung beenden und unmittelbar darauf eine neue beginnen. Diejenigen, die zur Kirche gehören, brauchen eine warmherzige und ermutigende seelsorgliche Zuwendung. Es geht darum, in einen pastoralen Dialog mit diesen Menschen zu treten, um jene Elemente in ihrem Leben hervorzuheben, die zu einer größeren Offenheit gegenüber dem Evangelium der Ehe in seiner Fülle führen können.

294. Die Entscheidung für eine Zivilehe, in anderen Fällen für ein einfaches Zusammenleben hat häufig ihren Grund nicht in Vorurteilen oder Widerständen gegen die sakramentale Verbindung, sondern in kulturellen oder faktischen Gegebenheiten. In diesen Situationen wird man jene Zeichen der Liebe hervorheben können, die in irgendeiner Weise die Liebe Gottes widerspiegeln.

Die Unterscheidung der sogenannten „irregulären“ Situationen

296. Die Synode hat verschiedene Situationen der Schwäche oder der Unvollkommenheit angesprochen. Diesbezüglich möchte ich hier an etwas erinnern, dass ich der ganzen Kirche in aller Klarheit vor Augen stellen wollte, damit wir den Weg nicht verfehlen: „Zwei Arten von Logik durchziehen die gesamte Geschichte der Kirche: ausgrenzen und wiedereingliedern. Der Weg der Kirche ist vom Jerusalemer Konzil an immer der Weg Jesu: der Weg der Barmherzigkeit und der Eingliederung. Der Weg der Kirche ist der, niemanden auf ewig zu verurteilen, die Barmherzigkeit Gottes über alle Menschen auszugießen, die sie mit ehrlichem Herzen erbitten. Denn die wirkliche Liebe ist immer unverdient, bedingungslos und gegenleistungsfrei.“ Daher sind Urteile zu vermeiden, welche die Komplexität der verschiedenen Situationen nicht berücksichtigen. Es ist erforderlich, auf die Art und Weise zu achten, in der die Menschen leben und aufgrund ihres Zustands leiden.

297. Einer pastoralen Zugehensweise entsprechend ist es Aufgabe der Kirche, jenen, die nur zivil verheiratet oder geschieden und wiederverheiratet sind oder einfach so zusammenleben, die göttliche Pädagogik der Gnade in ihrem Leben offen zu legen und ihnen zu helfen, für sich die Fülle des göttlichen Planes zu erreichen, was mit der Kraft des Heiligen Geistes immer möglich ist.

298. Die Geschiedenen in einer neuen Verbindung, zum Beispiel, können sich in sehr unterschiedlichen Situationen befinden, die nicht katalogisiert oder in allzu starre Aussagen eingeschlossen werden dürfen, ohne einer angemessenen persönlichen und pastoralen Unterscheidung Raum zu geben. Es gibt den Fall einer zweiten, im Laufe der Zeit gefestigten Verbindung, mit neuen Kindern, mit erwiesener Treue, großherziger Hingabe, christlichem Engagement, mit dem Bewusstsein der Irregularität der eigenen Situation und großer Schwierigkeit, diese zurückzudrehen, ohne im Gewissen zu spüren, dass man in neue Schuld fällt. Die Kirche weiß um Situationen, in denen die beiden Partner aus ernsthaften Gründen – z.B. wegen der Erziehung der Kinder – der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können. Es gibt auch den Fall derer, die große Anstrengungen unternommen haben, um die erste Ehe zu retten, und darunter gelitten haben, zu Unrecht verlassen worden zu sein, oder den Fall derer, die eine neue Verbindung eingegangen sind im Hinblick auf die Erziehung der Kinder und manchmal die subjektive Gewissensüberzeugung haben, dass die frühere, unheilbar zerstörte Ehe niemals gültig war.

299. Die Logik der Integration ist der Schlüssel ihrer pastoralen Begleitung, damit sie nicht nur wissen, dass sie zum Leib Christi, der die Kirche ist, gehören, sondern dies als freudige und fruchtbare Erfahrung erleben können. Sie sind Getaufte, sie sind Brüder und Schwestern, der Heilige Geist gießt Gaben und Charismen zum Wohl aller auf sie aus.

300. Es ist nur möglich, eine neue Ermutigung auszudrücken zu einer verantwortungsvollen persönlichen und pastoralen Unterscheidung der je spezifischen Fälle. Die Konsequenzen oder Wirkungen einer Norm müssen nicht notwendig immer dieselben sein, auch nicht auf dem Gebiet der Sakramentenordnung, da die Unterscheidung erkennen kann, dass in einer besonderen Situation keine schwere Schuld vorliegt.  (Fußnote 336).

Die mildernden Umstände in der pastoralen Unterscheidung

301. Um in rechter Weise zu verstehen, warum in einigen sogenannten irregulären Situationen eine besondere Unterscheidung möglich und notwendig ist, gibt es einen Punkt, der immer berücksichtigt werden muss, damit niemals der Gedanke aufkommen kann, man beabsichtige die Anforderungen des Evangeliums zu schmälern. Die Kirche ist im Besitz einer soliden Reflexion über die mildernden Bedingungen und Umstände. Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten „irregulären“ Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben. Ein Mensch kann sich in einer konkreten Lage befinden, die ihm nicht erlaubt, anders zu handeln (als die Norm) und andere Entscheidungen zu treffen, ohne eine neue Schuld auf sich zu laden.

303. Aufgrund der Erkenntnis, welches Gewicht die konkreten Bedingtheiten haben, können wir ergänzend sagen, dass das Gewissen besser in den Umgang der Kirche mit manchen Situationen einbezogen werden muss, die objektiv unsere Auffassung der Ehe nicht verwirklichen. Selbstverständlich ist es notwendig, zur Reifung eines aufgeklärten, gebildeten und von der verantwortlichen und ernsten Unterscheidung des Hirten begleiteten Gewissens zu ermutigen und zu einem immer größeren Vertrauen auf die Gnade anzuregen. Dies kann die Hingabe sein, die Gott selbst inmitten der konkreten Vielschichtigkeit fordert, auch wenn sie noch nicht völlig dem objektiven Ideal entspricht. Auf jeden Fall sollen wir uns daran erinnern, dass diese Unterscheidung dynamisch ist und immer offen bleiben muss für neue Phasen des Wachstums, das Ideal auf immer vollkommenere Weise zu verwirklichen.

305. Daher darf ein Hirte sich nicht damit zufriedengeben, gegenüber denen, die in „irregulären“ Situationen leben, nur moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft. Das ist der Fall der verschlossenen Herzen, die sich sogar hinter der Lehre der Kirche zu verstecken pflegen, » um sich auf den Stuhl des Mose zu setzen und – manchmal von oben herab und mit Oberflächlichkeit – über die schwierigen Fälle und die verletzten Familien zu richten «. Auf derselben Linie äußerte sich die Internationale Theologische Kommission: » Das natürliche Sittengesetz sollte also nicht vorgestellt werden als eine schon bestehende Gesamtheit aus Regeln, die sich a priori dem sittlichen Subjekt auferlegen, sondern es ist eine objektive Inspirationsquelle für sein höchst personales Vorgehen der Entscheidungsfindung. « Aufgrund der Bedingtheiten oder mildernder Faktoren ist es möglich, dass man mitten in einer objektiven Situation der Sünde – die nicht subjektiv schuldhaft ist oder es zumindest nicht völlig ist – in der Gnade Gottes leben kann, dass man lieben kann und dass man auch im Leben der Gnade und der Liebe wachsen kann, wenn man dazu die Hilfe der Kirche bekommt. (In gewissen Fällen könnte es auch die Hilfe der Sakramente sein. Deshalb » erinnere ich die Priester daran, dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn «. Gleichermaßen betone ich, dass die Eucharistie » nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen « ist. (Fußnote 351). Die Unterscheidung muss dazu verhelfen, die möglichen Wege der Antwort auf Gott und des Wachstums inmitten der Begrenzungen zu finden. In dem Glauben, dass alles weiß oder schwarz ist, versperren wir manchmal den Weg der Gnade und des Wachstums und nehmen den Mut für Wege der Heiligung, die Gott verherrlichen. Erinnern wir uns daran, dass »ein kleiner Schritt inmitten großer menschlicher Begrenzungen […] Gott wohlgefälliger sein [kann] als das äußerlich korrekte Leben dessen, der seine Tage verbringt, ohne auf nennenswerte Schwierigkeiten zu stoßen «.Die konkrete Seelsorge der Amtsträger und der Gemeinden muss diese Wirklichkeit mit einbeziehen.

Spiritualität der ausschließenden, aber nicht besitzergreifenden Liebe

320. Es gibt einen Punkt, an dem die Liebe des Paares seine größte Befreiung erlangt und zu einem Raum heilsamer Autonomie wird: wenn jeder entdeckt, dass der andere nicht sein Eigentum ist, sondern einen viel bedeutenderen Besitzer hat, nämlich seinen einzigen Herrn. Niemand anderes kann beanspruchen, Besitz zu ergreifen vom innersten und geheimsten persönlichen Bereich des geliebten Menschen, und nur er kann das Zentrum seines Lebens einnehmen. Zugleich bewirkt der Grundsatz eines geistlichen Realismus, dass der Ehepartner nicht mehr den Anspruch erhebt, dass der andere seine Bedürfnisse vollkommen befriedigt. Es ist notwendig, dass der geistliche Weg jedes einzelnen ihm hilft – wie Dietrich Bonhoeffer es gut ausdrückte – eine gewisse Enttäuschung über den anderen zu erfahren, es aufzugeben, von diesem Menschen das zu erwarten, was allein der Liebe Gottes eigen ist. Das erfordert einen inneren Verzicht. Der ausschließliche Raum, den jeder der Ehepartner seinem einsamen Umgang mit Gott vorbehält, erlaubt nicht nur, die Verwundungen des Zusammenlebens zu heilen, sondern ermöglicht auch, in der Liebe Gottes den Sinn des eigenen Lebens zu finden.  Wir müssen jeden Tag das Handeln des Heiligen Geistes erflehen, damit diese innere Freiheit möglich ist.

325. Gebet zur Heiligen Familie:

Heilige Familie von Nazareth,

mache auch unsere Familien

zu Orten innigen Miteinanders und Räumen des Gebetes,

zu echten Schulen des Evangeliums

und zu kleinen Hauskirchen.

Der gesamte Text ist im Internet auf der HP des Vatikan zu finden:

https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20160319_amoris-laetitia.html