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Jörg Bahrke: Ein Pfarrer als geistlicher Moderator

„Mit Gott an unserer Seite, da geht was“.

21. Februar 2022

Ich heiße Jörg Bahrke, bin 64 Jahre, katholischer Priester, und ich bin es gern!
Das Bistum Magdeburg ist meine Heimat, zumal ich selbst Magdeburger bin. Somit habe ich schon immer in der Diaspora gelebt. Zurzeit sind wir 3% Katholiken innerhalb der Bevölkerung. Da mein Vater evangelisch getauft war, ist die Beziehung zur geschwisterlichen Kirche immer eine wohlwollende gewesen und geblieben.

Nach der Priesterweihe war 1985 ich zweimal Vikar und bin dann in der Summe an 4 Orten Pfarrer gewesen. In Bernburg hatte ich zum Beispiel gleichzeitig 4 Pfarreien zu betreuen, also auch
4 PGR und 4 KV. Im Jahr 2010 ist das Bistum einen Weg gegangen, der diese Situation bereinigt hat. Aus zuvor 134 Pfarreien wurden nach einem Sondierungsprozess 44 Pfarreien gebildet mit jeweils einem gemeinsamen PGR und einem KV.

Mittlerweile gehen die Berufungen drastisch zurück. Im klassischen Denken ist die Personalsituation dramatisch, was alle Berufsgruppen einschließt. Mit dem Projekt VOLK, vor Ort lebt Kirche, wurde der Versuch unternommen, Gemeindemitglieder vor Ort zu stärken und ihnen durch Taufe und Firmung erworbene Kompetenz hervorzuheben. Nun setzt unser Bischof auf die Installierung von Leitungsteams.

Zurzeit gibt es im Bistum 10 von den Pfarreien, die nicht mit einem kanonischen Pfarrer besetzt sind. Deshalb hat der Bischof mit der Bistumsleitung und dem Bistumsrat entschieden, in den Pfarreien sogenannte Leitungsteams einzusetzen und zu beauftragen. Grundlage dafür ist der Can. 517, §2 im CIC. Er erlaubt dem Bischof, eine Gemeinschaft von Personen an der Wahrnehmung der Seelsorgeaufgaben einer Pfarrei zu beteiligen, welche unter der Mitwirkung eines Priesters die Pfarrei leitet.

Zu diesem Dienst hat der Bischof mich eingesetzt. Ich bin somit der „geistliche Moderator“ einer Pfarrei.  In einem feierlichen Gottesdienst hat der Bischof 4 Gemeindemitglieder, welche idealerweise aus den gewählten Gremien PGR und KV hervorgehen, und mich beauftragt, die Pfarrei zu leiten. Gleichzeitig ist ein Mitglied des KV zum Vorsitzenden des KV mit allen erforderlichen rechtlichen Zuständigkeiten beauftragt worden. Unterstützt wird er von einem Verwaltungskoordinator oder einer -koordinatorin, welche in einer Region mit z.B.l 4 Pfarreien eingesetzt wird und den ehrenamtlichen KV-Mitgliedern zuarbeitet.

Nach 28 Jahren Pfarrer sein mit allen Rechten und Pflichten lebe ich nun in einer anderen Rolle, eben als Priester und Seelsorger. Das hat mich verändert und davon möchte ich berichten.

Ich wohne seit 2 Jahren in der Pfarrei „St. Jutta“ in Sangerhausen im Mansfelder Land. Auf rund 800 Quadratkilometern leben hier ca. 1500 Katholiken. Das ist echte Diaspora.  Ich lebe in einer 3-Raum-Wohnung unweit der Kirche und nicht im Pfarrhaus. Das ist eine persönliche Herausforderung für mich. Ich stehe nicht mehr unter der ‚Sozial- Kontrolle‘ auf dem Pfarreigelände und muss viel mehr meinen Tagesablauf selbst gestalten. Das bezieht sich auch auf das geistliche Leben! Selbstdisziplin ist dabei angesagt.
Und ich bin nicht mehr für alles zuständig! Ich muss mich nicht um alles kümmern. Für meine neue Rolle ist dies eine Entlastung, die aber auch für die Mitglieder der Pfarrei eine Herausforderung darstellt. Ich bin nicht mehr über alles informiert und auch nicht auf der Ebene von Entscheidungen unterwegs.

In der Ernennungsurkunde meines Bischofs heißt es: „Ihre wichtigste Aufgabe ist der Einheitsdienst in der Pfarrei. Ich bitte Sie, das Gespräch mit allen zu suchen, den eigenen Anteil der Laien an der Sendung der Kirche anzuerkennen und zu fördern. Sie haben sich darum zu bemühen, dass die Gläubigen für die Gemeinschaft der Gemeinden in der Pfarrei Sorge tragen und sich in gleicher Weise als Glieder sowohl der Diözese wie der Gesamtkirche fühlen.“

Ich habe keine administrativen Aufgaben mehr. Konsequenterweise bin ich nicht Mitglied im KV und gehe auch nicht als Gast zu den Sitzungen. Zugegeben, es juckt mich manchmal, meine eigene Erfahrung einzubringen oder Argumente zu streuen, die auf die Mitglieder im KV Einfluss nehmen könnten. Hier darf ich aushalten und mich disziplinieren.

Alle Seiten müssen lernen, der Herr Pfarrer ist nicht der klassische Pfarrer. Somit ist der mir zugesprochene Titel ein kleines Hindernis im System. Als kanonischer Pfarrer war ich eingebunden in eine Machtstruktur. Diese loszulassen ist nach so vielen Jahren nicht einfach, doch heilsam. Denn ich habe ja die Priesterweihe und nicht die Pfarrerweihe empfangen. Der Bischof kann mich als Priester vielfach einsetzen. Und entsprechend möchte ich jetzt diese Ernennung auszufüllen.
Petrus schreibt in seinem 2. Brief: „Meine Brüder, bemüht euch noch mehr darum, dass eure Berufung und Erwählung Bestand hat! Wenn ihr das tut, werdet ihr niemals scheitern.“
Das hilft mir, nicht zu dominant zu sein, sondern viel mehr Diener. Auch muss ich nicht mehr alles wissen im Sinne von falscher Neugier oder gar ungesunder Kontrolle.
Irgendwie bin ich jetzt mehr Priester, was ich aber schwer in Worte fassen kann.

Das Bild des Papstes in seinem Schreiben: Evangelii Gaudium, gerichtet an einen Bischof, hat mir sofort gefallen: „… er wird sich bisweilen an die Spitze stellen, um den Weg anzuzeigen..., andere Male wird er einfach inmitten allersein…, und bei einigen Gelegenheiten wird er hinter dem Volk hergehen, … und -vor allem- weil die Herde selbst ihren Spürsinn besitzt, um neue Wege zu finden.“ (EG 31)

Bei all dem geht es um die Zukunft unserer Kirche! Wie kann das Gottesvolk seine Sendung verstehen und leben? Bisher galt oft das Bild: Kirche ist da, wo ein Pfarrer ist. Dabei hat doch das II. Vatikanische Konzil uns ermutigt zu entdecken, dass wir alle Kirche sind. Als geistlicher Moderator stehe ich diesem Verständnis nun weniger im Wege. Im Gegenteil, ich kann den Menschen mehr Stärkung und Orientierung im Leben geben. Ich bin nicht mehr Bestimmer und Entscheider, sondern Begleiter und Ratgeber.

Das schenkt mir neuen Freiraum, seelsorglich unterwegs zu sein. Ich habe jetzt weniger Themen im Kopf, die mich bisher umgetrieben haben. In den Begegnungen nach den Gottesdiensten oder bei Besuchen war es bisher oft so, dass ich was wollte, ein Anliegen hatte oder etwas schnell klären musste. Jetzt bin ich „einfach da“, kann zuhören und mehr hören, wie es den Leuten geht und welchen Zuspruch sie brauchen. Es ist vergleichbar mit der Rolle eines Spirituals.

Zugegeben, dieser Weg ist entstanden durch die wenigen Priester in unserem Bistum. Doch kann es auch ein Anlass sein, neu zu denken?
Ich bin inzwischen geistlicher Moderator in zwei Pfarreien, bin also Mitglied in 2 Leitungsteams. Das ist eine echte Herausforderung für mich, weil die äußere Struktur sich in etwa ähnelt, doch die gewachsene Prägung eine jeweils andere ist. Und so darf und muss ich zuallererst offen und Hörer sein, um im Miteinander gut in den Austausch treten zu können.

Was sind die Schwachstellen auf diesem neuen Weg?
- Die Mitglieder des KV sind sehr stark durch ihre Aufgaben belastet, besonders der bzw. die Vorsitzende. Ohne die Begleitung einer Verwaltungskoordinatoren-Stelle, für eine Region eingesetzt, wird es eine Überforderung sein.
- Das Leitungsteam muss sich gut finden und seine Kompetenzen klären, denn man ist nicht auf der Beschlussebene unterwegs, sondern eher als Steuergruppe und Vordenker.
- Der Titel Pfarrer ist irreführend, da zu sehr besetzt von der eingeübten Rolle.
- Die hauptamtlichen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind einer eventuellen Kränkung ausgesetzt, da sie nicht aktiv zum Leitungsteam gehören. Das muss gut geklärt werden und die 3 Gremien (PGR, KV und LT) müssen sich gegenseitig gut informieren.

Zusammenfassend kann ich sagen, mir geht es gut mit der neuen Aufgabe. Es bleibt eine Herausforderung für alle Seiten.
In dem schon erwähnten Gottesdienst zur Einsetzung des LT sagte ein KV-Mitglied in seinem Grußwort gegenüber unserem Bischof: „Mit Gott an unserer Seite, da geht was“.

Jörg Bahrke
Sangerhausen, Januar 2022