Stefan Langer: Wie heute als Priester leben?
Ich bin seit 24 Jahren Priester; geboren 1967 in Mecklenburg, als gelernter Landwirt (FA SuP) machte ich zur Wendezeit mein kirchliches Abitur in Magdeburg und wechselte zum Studium nach Erfurt.
Seit 2006 war ich Pfarrer in Elmshorn nordwestlich von Hamburg. Im Zuge der Veränderung im Erzbistum Hamburg wurde ich 2012 zusätzlich Pfarrer der beiden Nachbarpfarreien in Wedel und Pinneberg und zusätzlich Leiter der Entwicklung zum pastoralen Raum. Dort sollten vier Pfarreien aufgelöst und eine neue gegründet werden. Fünf Jahre Pfarrer in drei großen Pfarreien zu sein und gleichzeitig die Entwicklung des Erneuerungs- und Veränderungsprozesses zu leiten, war im Nachhinein doch ein wenig zu viel. Nach der Gründung unserer Pfarrei Hl. Martin wurde mir sehr deutlich, dass ich körperlich wenig Kraft hatte, aber auch die geistig-geistlichen Kräfte nahmen spürbar ab. Es gab nichts Neues mehr an Ideen usw. Die Gewohnheit und die Erfahrung gaben mir Halt. Aber unbefriedigend war diese Situation schon für mich. Der Wunsch innezuhalten und aufzutanken wuchs in mir Tag für Tag.
Nach 15 Dienstjahren wird in unserem Bistum eine vierwöchige Auszeit gewährt. Diese wollte ich auch nehmen und hab mit dem Personalreferenten darum gerungen: 2019 war es dann soweit. Ich konnte für vier Wochen ins Hl. Land reisen und mit den Benediktinern in Tabgha und Jerusalem diese Zeit gestalten.
Ausgangspunkt dieser Auszeit war, dass ich spürte, wie meine körperlichen, aber auch die geistig-geistlichen Kräfte geringer geworden sind. Gleichzeitig spürte ich nach 21 Dienstjahren, dass meine Beziehung zu Gott/zu Jesus so gewöhnlich, so alltäglich geworden war. Nichts mehr von der ersten großen Liebe, kein „Kribbeln im Bauch“ mehr wie zu der Zeit, als der Wunsch reifte, Priester zu werden. Traurigkeit kam in mir auf, wenn ich Eheleute zum Silber- oder Goldjubiläum ihrer Hochzeit sagen hörte: Es ist immer noch genauso schön wie einst, nur reifer. Das wollte ich auch gerne sagen können. Vielleicht müsste ich um seine Liebe werben, wie ich es Paaren rate, die in der Versuchung sind, ihrer Liebe keine Chance mehr zu geben.
In dieser persönlich-innerlichen Situation kam dann auch die Frage auf: Wie und wo kann ich in unserem Bistum Priester sei,n und ob ich das so will wie bisher?
Seit dem Eintritt als Priesteramtskandidat 1987 hat sich vieles verändert: Zeit der Wende und Wiedervereinigung, neue Möglichkeiten, im kirchlichen Dienst zu arbeiten, Gründung des Erzbistums. Immer wieder Veränderungsprozesse, die manchmal scheinbar nichts mit der Erneuerung des kirchlichen und geistlichen Lebens zu tun haben, sondern mit einem Zentralismus von Verwaltung einhergehen, der nicht mehr das zweite Vatikanum vor Augen hat, alles mit Menschen zu teilen. Dass aber so ein Zentralismus zum Scheitern verurteilt ist, lehrt uns die eigene DDR-Geschichte sehr deutlich.
Wie sollte ich in diesem System Pfarrer sein, indem Kompetenzen des Leiters der Pfarrei genommen werden bzw. sind?
Wie kann ich in dieser Situation der Bistumsleitung loyal gegenüberstehen, wenn ich zum „Handlanger“ zur Durchsetzung unliebsamer Entscheidung geworden bin?
Wäre nicht eine notwendige Konsequenz darauf, auf das Pfarramt zu verzichten, ins zweite Glied zu treten, um als Pastor das zu leben, wofür ich einst angetreten bin?
Mit diesen Fragen bin ich nach Israel abgereist. Einiges hat sich in dieser Zeit klären lassen. Diese Tage der Auszeit, der Einkehr, der Begegnung mit Gott, haben mir eine andere Sicht auf meine Fragen ermöglicht.
So spüre ich eine tiefe Dankbarkeit, dass Gott mich angeschaut hat und anschaut. Diesem seinem Blick kann ich nicht ausweichen und will es auch nicht. „Wir danken dir, dass du uns berufen hast“ – so beten wir im Messkanon. Diese Dankbarkeit spüre in mir: Dank für die Berufung, Priester zu sein, mit den Gaben, mit denen er mich ausgestattet hat: die Freude am Leben, das Hören und Zu-Hören, das miteinander Denken, Reden und Handeln. Daraus ergibt sich für mich geistiger und geistlicher Gestaltungswille und Gestaltungskraft, auch wenn die körperlichen Kräfte eingeschränkt sind.
Die Begegnung mit Jesus an den biblischen Orten, sein Sprechen im Hier und Heute, stärkt in mir die Bereitschaft, auf seine Aufforderung „Tu autem sequere me“ stets eine Antwort zu geben.
Der Berg der Versuchung lehrt mich, nicht nach dem zu schielen, was womöglich besser ist, z.B. das Leben als Benediktiner in Tabgha und in der Dormitio, sondern die Herausforderung der Diaspora anzunehmen.
Wie werde ich nun in unserem Bistum als Priester leben können?
Klar geworden ist für mich bzw. deutlicher als früher:
· Das Leben als Priester geht nur in Gemeinschaft. Vernetzung und Konveniats sind für mich zu wenig. Es braucht eine Form der vita communis, eine Form des konkreten Zusammenlebens.
· Um Pfarrer zu sein braucht es, Entscheidungskompetenzen zu haben, z.Z. fehlen diese. -
· Als Priester möchte ich viel mehr am Aufbau des Reiches Gottes arbeiten als am Aufbau kirchlicher Strukturen. Der Inhalt hat für mich Vorrang vor der Form.
In einer Meditation zur Brotvermehrung heißt es: Jesu fragt nicht nach Glauben, Wissen und Geld. Die Menschen hatten Hunger, das genügte, sie waren bei ihm, das reichte aus. Voller Mitleid teilt er aus, die Brote und die Fische – an alle ohne Ausnahme.
In diesen kurzen Worten der Meditation findet sich meine Vision für mein priesterliches Sein und mein Traum von Kirche-Sein wieder.
Mittlerweile habe ich eine neue Hüfte, habe in Coronazeiten die Pfarrei gewechselt und bin nun Pfarrer in Hamburg–Harburg, lebe in vita communis mit Ansgar Hawighorst. Die Situation im Hamburger Süden ist schwierig und schön zugleich:
- Schwierig, weil dieser Teil unseres Bistums ehemals zum Bistum Hildesheim gehörte und es quasi noch „Heimweh“ gibt: Harburg und Hamburg sind sehr verschieden.
- Schwierig, weil es Fehlentscheidungen des Bistums gibt, z.B. hier im sozialen Brennpunkt die kath. Schulen zu schließen (Gott sei Dank konnten 2 von 5 durch Initiative der Menschen hier gerettet werden).
- Schwierig, weil in der zweitgrößten Pfarrei des Bistums (25.000) z.Z. nur 1,5 Priester und 3 HA arbeiten können, es fehlen 6 MA.
- Schön, weil es engagierte Menschen in vielen Bereichen gibt.
- Schön, weil Menschen bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
- Schön, weil Menschen trotz alledem Freude und Hoffnung ausstrahlen.
So finde ich hier etwas von dem, was sich in der Auszeit angedeutet hat, und es wird immer wieder neu zur Gewissheit, dass Gott unter uns am Wirken ist. Und dieses Wirken heißt für mich Wandlung.
Stefan Langer, Hamburg
Februar 2022